Es ist wieder soweit, Wochenende oder besser gesagt: Zeit für einen Weekender.
Bei dem Frühlingseinbruch im Spätwinter, kommen die Erinnerungen an den längst vergangenen Herbst. Mir brummte der Kopf von der Arbeitswoche im Büro und das Kellerkind Alex musste auch mal wieder an die frische Luft. Wie der Zufall es will, war auch endlich die Heckküche für unseren Go-Outdoor fertig geworden. Der ideale Zeitpunkt also den Dachzeltcamper etwas auszuführen. Bei so vielen schönen Orten in der Schweiz hat man lediglich die Qual der Wahl, wohin es gehen soll. Wir zumindest redeten schon seit Wochen über den Klausenpass, der den Glarus von den Urkantonen trennt. Also nichts wie hin, bevor Frau Holle ihn für sich beansprucht!
Morgenstund hat gold im Mund
Da wir am Freitag noch bis in die Nacht in der Werkstatt gewerkelt haben, brechen wir zu unserem Weekender zu einer unmenschlichen Zeit um 5 Uhr morgens auf. Die Straßen sind leer und nur der Sternenhimmel funkelt uns von oben an. Die ersten Kurven des Klausenpasses meistern wir in Dunkelheit. Doch sobald wir Unterschächen passieren, hellt sich der Horizont auf und die Umrisse der imposanten Berglandschaft geben sich zu erkennen. Als wir die Klausenpasshöhe erreichen, schlafen die Welt und vor allem ein paar Camper noch und wir rollen gemütlich Richtung Linthal weiter.
Freizeiteldorado Braunwald
Braunwald ist eine kleine Enklave im Glarus, die hoch über dem Tal (so gut wie) autofrei funktioniert. Die Infrastruktur ist für Camper auch ideal, da man direkt am Bahnhof legal stehen darf und lediglich in die Standseilbahn stolpern muss. Wir haben sowohl unsere Gleitschirme als auch das Klettersteigset gepackt, wobei wir das erstere vermutlich an der Bergstation Gumen deponieren wollen. Die Kombibahn fährt um die Uhrzeit noch nicht und der Erlebnispfad bergauf ist uns sowieso lieber. Somit trotten wir in einer besinnlichen Stille den ebenfalls für Mountainbiker freigegebenen Wanderweg Richtung Berg und geniessen den spürbaren Moment, wenn man aus dem Schattten in die Fast-Wintersonne aufsteigt.
Föhn oder nicht Föhn, das ist hier die Frage
Wer in den Bergen lebt, kennt das Phänomen: Föhn. Und ich meine hier nicht das praktische Haarpflegeutensil mit 230 V-Anschluss und bestimmt 2000 W Leistung, das in einem Camper etwas Fehl am Platz wirkt. Ich meine die Wetterkonstellation, wenn es zwischen Süd- und Nordalpenseite einen Druckunterschied gibt, der je nach dem bei Südföhn z.B. zu stürmisch-heissen Winden auf der Nordseite führen kann, während der Süden in einer dunklen regnerischen Staubewölkung versinkt. Ein Indikator für Föhn ist hierbei eine Druckdifferenz von ca. 4 hPa zwischen Zürich und Lugano oder Innsbruck und Bozen. Jedoch spielen so viele andere geoklimatische Faktoren eine Rolle für die Ausprägung eines Föhn, so dass Föhn nicht gleich Föhn ist. Beim Wandern muss man sich in der Regel wenig Gedanken machen, doch ist der Föhn für Gleitschirmflieger ein natürlicher Feind. Und uns erwartete an dem wunderschönen sonnigen Tag vielleicht ein Föhn mit rund 4 hPa, aber vielleicht wird es auch nur ein leichter Südwind?
Zeitsprünge
Beim Zustieg zum Klettersteig Eggstöcke entdecke ich auf der Karte noch eine Biwakschachtel und frage mich: warum nicht von dort mit dem Gleitschirm starten? Kurzer Hand entscheiden wir uns die Schirme beim Klettern mitzunehmen. Kurz vor dem Einstieg in die Wand treffen wir noch drei lokale Piloten, die sich zum Start vom offiziellen Startplatz vorbereiten. Was sie denn von der Föhnprognose halten, frage ich sie. Der eine zuckt mit den Schultern und meint nur: früher wären wir nie auf die Idee gekommen bei dem Wetter ans Fliegen zu denken! Das stimmt, denke ich mir. Früher wurde unser Nachbarn in der lokalen Zeitung gefeiert, weil er kaum 20 km vom Tegelberg zum Breitenberg geflogen ist! Und jetzt? Jetzt werden Rekorde von Hunderten von Kilometern geknackt und das gefühlt im Wochentakt. Ich denke, dass sich einerseits die Technik natürlich stark weiterentwickelt hat. Andererseits steht die vernetzte Welt in einem konstanten Wettbewerb, die die Leute immer wieder an ihre Grenzen treibt. Doch ich glaube, dass wir in unserem trögen Alltag uns einfach immer wieder nach dem Nervenkitzel sehnen und entsprechend Risiken in Kauf nehmen, für den früher allein der Anblick der Zugspitze gereicht hätte.
Entspannte Kraxelei mit Tödi-Blick
Das schöne an dem Klettersteig ist, dass man entweder bei der Schwierigkeit C entspannt das Panorama geniessen kann oder sich bei knackigen D/E zum Leiteregg hochkämpfen muss. Von dort aus ist es dann auch nicht mehr weit über den Vorderen Eggstock zur Charlotte Bridge, die bei dem Tiefblick etwas für weiche Knie sorgt. Ich kriege jedoch die ganze Zeit den Föhn nicht aus dem Kopf und suche ständig nach Lenticularis am Himmel. Doch anstelle der Linsenwolken entdecke ich lediglich Gleitschirmflieger die sich an den Südflanken der Eggstockgruppe Höhenmeter um Höhenmeter erkämpfen! So wie es ausschaut: nix mit Föhn! Umso beschwingter folgen wir dem schmalen Grat zum Mittleren Eggstock und steigen geschwind zum Biwak ab. Es tummeln sich immer mehr Flieger in der Luft, was einerseits positiv ist, andererseits einem die eigenverantwortliche Entscheidung zu Fliegen nicht abnimmt. Wir entscheiden jedoch, dass die Luft mehr als freundlich ist und ersparen uns einen langen Abstieg ins Tal.
Berglistüber und Signalstock-Arena
Die Campingplätze sind saisonal und Pandemie-bedingt im Linthal geschlossen, also entschliessen wir uns kurzer Hand für den Urnerboden. Unterwegs besichtigten wir einen imposanten Wasserfall, der wohl zu Urzeiten eine Höhle in den Stein gehöhlt hat. Am Urnerboden platzieren wir uns dann strategisch, um die Sonne so lange wie möglich zu genießen und starten mit dem Kochen. In den Mägen grummelt es schon. Das Besondere am Go-Outdoor ist, dass sich das Leben tatsächlich Outdoor abspielt. Unsere Campernachbarn verkriechen sich in den Campern, sobald die Sonne nicht mehr für wohlige Wärme sorgt. Wir hingegen ziehen uns einfach eine weitere Schicht Klamotten an und geniessen die frische kalte Luft. Draussen wird gekocht, draussen wir gegessen und draussen wird dann auch das Glässchen Wein genossen. Das nächste Mal jedoch kaufen wir Brennholz, denn nasses Treibholz brennt bekanntlich nicht gut.
Weekender im Glarus – the joy of minimalism
Die Nacht im Dachzelt war kalt. Erst als die ganze warme Luft, die im Laufe des Tages die Berge entlang aufgestiegen ist, wieder ins Tal rutschte, wurde es fast angenehm kühl. Morgens muss man halt im Winter das Teekochen mit Frühsport verbinden, doch dabei den Sonnenuntergang am Urnerboden zu beobachten, bleibt einfach unbezahlbar. Wir sind viel mit dem Camper unterwegs und immer ist ein Gepacke und Geraffel, wenn man mal ehrlich ist. Der Weekend-Trip zum Glarus jedoch hat mir wieder gezeigt, wie wenig es eigentlich braucht, um ein Abenteuer zu erleben und worauf es mir zumindest ankommt: Ich will der Neugierde und Lebenslust hinterher fahren und das geht auch Dachzeltnomade. Tipps und Tricks für Campinganfänger findet ihr übrigens hier!
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